Der Maßschneider
Ein Mann wollte seinen neuen Anzug bei einem Schneidermeister abholen. Er probierte ihn noch einmal an und war entsetzt. Das linke Hosenbein war kürzer als das rechte, die Jacke hinten viel zu lang und die rechte Schulter schief. Der Schneidermeister bat den Mann das rechte Bein einzuknicken, den Oberkörper nach vorn und die rechte Schulter nach hinten zu biegen. Nun passte der neue Anzug. Der Mann bezahlte und ging so krumm und verbogen auf die Straße. Gegenüber machte eine Frau ihren Mann auf den "armen Krüppel" aufmerksam. Der schaute kurz mitleidig rüber und meinte:
"Aber einen guten Schneider hat er!"
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Supikuhl
Die pensionierte Deutschlehrerin saß vorm Haus, genoss die Abendsonne und wartete auf einen Gesprächspartner. Es dauerte nicht lange, da stürmte das junge Pärchen, das vor Kurzem eingezogen war, die Treppe hinunter. Sie hatten es eilig. Mit der Frage: "Seid ihr gestern Abend auch bei Ronald Leiser und seiner "Leisermania" gewesen?", stoppte die Lehrerin ihren Bewegungsdrang. Beide quetschten ein "Ja" hervor. "Wie war es?" Daraufhin der Junge: "Suupaa, einfach suupaa, geil." Das Mädchen ergänzte: "Ja, suupi, toll." Er wieder: "War mega geil, so was von kuhl." Die germanistikstudierte Dame ließ ein gedehntes "Ookee" hören und
beantragte am nächsten Tag ihre Reaktivierung.
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Hunger
Mike hatte verschlafen. Das Frühstück musste ausfallen, weil sein Chef schon wartete. Als die Beratung vorbei war, schloss die Mittagskantine. Mikes Magen knurrte jämmerlich.
Drei Straßen weiter stand ein Kiosk. Auf dem Weg dahin fiel er beinahe über einen Obdachlosen.
Mike verlangte den größten Burger, biss schon vor dem Stehtisch gierig hinein und verspürte plötzlich einen unbändigen Durst. Er legte den Burger ab und holte sich noch eine Cola.
Als er sah, wie der Obdachlose sich an seinem Burger verging, rannte er hin, stellte den Colabecher auf die Tischplatte und schlug ...
... ihn sanft auf die Schulter: "Trinken Sie etwas dazu!“
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Hilflos
Ich liege einsam, bewegungs- und hilflos auf dem nacktkalten Fußboden und kann mich nicht artikulieren. Niemand kümmert sich um mich. Die Leute eilen schweigsam an mir vorbei und würdigen mich keines Blickes. Manche stoßen mich sogar mit den Füßen an und entschuldigen sich nicht einmal. Nur einmal in der Woche kommt ein Pfleger vorbei, reißt mich hoch, schüttelt mich und legt mich wieder hin. Das alles dauert nun schon ein paar Jahre. Ich kann nur geduldig auf das Ende dieses unwürdigen Lebens warten. Sollte ich noch einmal auf die Welt kommen, möchte ich auf keinen Fall nochmal ...
... ein Fußabtreter sein.
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